1968 | geboren als Tochter einer Mutter, für die Schreiben „immer ein Horror“ war und eines Vaters, der Kafka für einen Neurotiker mit Verfolgungswahn hielt |
1973 | Im Urlaub Streit mit dem Nachbarsjungen, der schon lesen kann, obwohl er auch noch nicht in der Schule ist. Einziger Trost: Er liest nur Comics, die finde ich eh langweilig. |
1974 | Endlich lesen und schreiben lernen, das Leben kann beginnen. |
1976 | Nach der Lektüre von Preußlers „Die kleine Hexe“ beschlossen, später auch mal Hexe zu werden. |
1977/78 | Das Glück gehabt, einen geschichten-begeisterten Grundschullehrer zu haben. Gemeinsam mit der besten Freundin Aufsatzkönigin des 3. und 4. Schuljahrs. |
1978-1980 | Mit immer noch derselben besten Freundin wöchentliche Besuche in der kleinen Stadtteilbibliothek: Bei einem Lesepensum von sechs Büchern in der Woche sind die Kinderbücher schnell ausgelesen und der altertümliche Bibliothekar verweigert uns die Herausgabe von Büchern für Erwachsene. Sehr geärgert! |
1979 | Vergeblicher Versuch, „Timm Thaler“ von James Krüss in vier Wochen Ausleihzeit komplett abzuschreiben. |
1980 | Welche Zumutung, die erste Lektüre der „Unendlichen Geschichte“ unterbrechen zu müssen, nur um in der Düsseldorfer Oper eine Aufführung der Kinderoper „Hänsel und Gretel“ zu sehen. |
1980 ff. | Beharrliche Weigerung, Internats-, Ballett- oder Pferdebücher zu lesen. Vergebliche Versuche, den Erwachsenen klarzumachen, warum Astrid Lindgren eine bessere Autorin als Enid Blyton ist. Gleichzeitig – da der Bibliothekar immer noch nicht nachgibt – Ausflüge zum Bücherregal der Eltern, meist heimlich. Mit Hilfe eines Stuhls auch das oberste Brett erreicht und „Lieben Sie Brahms?“ und „Lolita“ gefunden. Nicht alles verstanden. |
1981 | Ich entziehe mich meiner Familie und einem lärmenden Nacktbadestrand in Frankreich, um auf dem Balkon des Ferienappartements zu lesen. Mein Onkel zog mich noch jahrelang damit auf. Der Titel des Buches lautete: „Fröhliche Ferien am Meer“! |
1984 | Prägende Begegnung mit „manischem“ Deutschlehrer, der selbst Effie Briest zum Leseabenteuer machen konnte. |
1988 | Verzauberung: eine fremde Stadt im Frühjahr, eine Liebe, eine Befreiung und dazu Milan Kunderas „Unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ auf einer Parkbank sitzend. |
1994 | Mit fiebriger Grippe lese ich Thomas Manns „Doktor Faustus“: Wie Adrian Leverkühn begegne ich dem Teufel, aber mir bietet er keinen Pakt an 😉 |
1996 | Mein erster und einziger von Literatur verursachter Alptraum: Nach der Lektüre von Salman Rushdies „Shame“ tobt Sufiya Zinobia, die mörderische Verkörperung weiblicher Rache durch meine Träume. |
2002 | Nach der Lektüre der „Korrekturen“ langer Brief an Jonathan Franzen. Handschriftliche Antwort bekommen, die beginnt „You seem to know me so well“. |
2008 | Warum macht mich der Suizid eines Menschen, den ich gar nicht persönlich kannte, traurig? „Man kann nicht auf der Welt sein, ohne in Schmerzen zu leben“, hatte David Foster Wallace in einem Interview gesagt. Er erhängt sich im Alter von 46 Jahren. Mich verfolgen „lange Lichtsplitter aus dem Herzen trauriger Sterne“ (aus „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ KiWi 2002) |